Elbtalerin lässt die Zeit tropfen

Weilburger Tageblatt
Juni - 2016

KULTUR Christiane Mörsel-Zimmermann zu Gast im Pastori Kino Weilmünster

WEILMÜNSTER Mit ihrem Programm "Im Zeitraffer" hat Christiane Mörsel-Zimmermann während einer Matinee im historischen Lichtspielhaus Pastori begeistert. Vortrefflich begleitet wurden ihre humorvollen, satirischen und nachdenklichen Texte von Manuel Schmidle am Klavier.

Im wunderschönen Ambiente des Kinosaals, der nach der Renovierung nichts von seinem Charme verloren hat und nun auch über eine Bühne verfügt, stimmt Manuel Schmidle die Gäste musikalisch auf das Programm ein.

"Was wären wir ohne Musik?", fragt Christiane Mörsel-Zimmermann in ihrem ersten Gedicht und beleuchtet die verschiedenen Lebensabschnitte wie Hochzeit oder Beerdigung, in denen Musik eine Rolle spielt. Sie schafft damit mühelos den Übergang zum Thema ihres Programms, in dessen Mittelpunkt sie die vielen Facetten des Themas Zeit stellt.

Es gebe eine Zeit, in der der Mensch gerne älter sei und dann komme bald schon die Zeit, in der er wieder jünger sein wolle, erklärt sie. In ihrem Gedicht Zeitraffer, in dem die Ärztin und Autorin aus Elbtal durch die Jahrzehnte reist, findet sich jeder im Publikum wieder.

Viel Applaus erntet sie für den "Triesel im Wind", einen Kreisel, den Schmidle zusätzlich über die Tasten seines Klaviers tanzen lässt. Für herzhafte Lacher sorgt der Vortrag zum Thema "Meine Zeit tropft", in der Mörsel-Zimmermann mit ihrer erfrischenden, authentischen Art die Auseinandersetzung mit einer Telefonhotline schildert. "Aus Tropfen werden Bäche, aus Bächen werden Flüsse und aus Flüssen werden Seen und Meere" oder "ein Tropfen füllt ein Glas, einen Eimer, eine Badewanne, die schließlich überläuft", beschreibt sie bildlich, wie es ist, wenn Zeit geraubt wird. Mit schwarzem Humor beschreibt sie, wie auch die Notdienstzentrale mit einer Hotline arbeitet: "Wenn Sie tot sind, drücken Sie die fünf".

Mörsel-Zimmermann nimmt nicht nur den Jugend- sondern auch den Seniorenwahn unter die Lupe, der ihrer Meinung nach die tollsten Blüten treibt. Immer früher würden die Menschen ein behindertengerechtes Bad bauen, weil sie davon ausgingen, dement im Rollstuhl zu landen, beobachtet sie Entwicklungen und Zeitgeist. Ihr Ziel sei es stattdessen, gesund alt zu werden und dann zügig zu sterben - am liebsten beim Tanzen, wie sie verrät.

"HuBeDeLe" nennt sie selbst ihre Kunst: Humorvolle Betrachtungen des Lebens. Das wird auch in ihren Gedichten "Ich bin nicht von hier" und "Frühsport" deutlich. Darin schildert die gebürtige Hamburgerin, die seit 20 Jahren in Elbtal wohnt und nicht an der Elbe, wie ihre Freunde aus der Hansestadt vermuten, unter anderem einen Ausflug mit dem Fahrrad, der eine unliebsame Begegnung mit Stieren und Wildschweinen zur Folge hat.

Traurig, wenn die Navi-Tante zum einzigen Dialogpartner des Tages wird

Sie beschäftigt sich mit dem Thema "Wartezeit", die die Menschen meist nur noch mit Laptop und Smartphone verbringen. Kommunikation in Form von persönlichen Gesprächen sei nicht mehr erwünscht, stellt sie traurig fest. Kritisch schaut sie auf die zunehmende Entmenschlichung und das Fortschreiten der digitalen Welt, in der sich Verliebte nicht mehr in die Augen blicken, weil sie zeitgleich eine Whatsapp-Nachricht verschicken und die Navi-Tante zum einzigen Dialog am Tag wird.

Mal fröhlich, mal nachdenklich, aber immer hingebungsvoll widmet sich Mörsel-Zimmermann in ihren Texten dem "ganz normalen Wahnsinn".

Weilburger Tageblatt

01.06.2016

Von Dorothee Henche

Foto: Henche

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